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Verkehrsfunk, Gottschalk und jede Menge Piepsen

Lesen Sie exklusiv auf radiowatcher: Eine Zeitreise – Hörfunkredakteur und Podcaster Marko Schlichting schreibt über die Entwicklung des Verkehrsfunks in Deutschland.

„Hier ist das NDR-Verkehrsstudio. Aktuelle Meldungen liegen zurzeit nicht vor.“ Wer in den Siebzigerjahren in Norddeutschland lebte, bekam diesen Satz mehrere Male am Tag auf die Ohren. Gefühlt immer dann, wenn gerade ein gutes Lied lief. Das kam bei NDR 2, dem norddeutschen Informationssender, nun auch nicht so häufig vor. Verkehrsmeldung schrieb man damals aber sehr groß.

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Der Norddeutsche Rundfunk hatte sich eine Zeit lang sogar die Möglichkeit geschaffen, das Programm zu teilen. Während in Hamburg ein Stau gemeldet wurde, sendeten Niedersachsen und Schleswig-Holstein einfach weiter. Das galt natürlich im Falle einer Verkehrsstörung für die anderen beiden Bundesländer auch. Das NDR-Verkehrsstudio, eine eigene Abteilung mit eigenen Sprechern und einem eigenen Chef (bzw. einer eigenen Chefin: Ada-Verene Gass) durfte sich dabei in alles einschalten, was nicht bei drei auf den Bäumen war: Musik, Fußball, ja sogar in die Nachrichten, wenn es sein musste.

Den Wert von Geschwindigkeit nicht erkannt

Sie mussten sich aber auch ranhalten mit ihren Meldungen. Denn wenigstens das Radio sollte die Verkehrsstörungen schnell verbreiten. Die Polizei tat das nämlich damals noch nicht. Zwar hatte man in den Siebzigerjahren den Wert der Verkehrsmeldungen sehr wohl erkannt, aber nicht den Wert von Geschwindigkeit. Damals gab es ja noch keine automatische Staumessung.

Also lief in der Regel folgendes Prozedere ab: Ein Unfall ereignet sich. Nun muss zunächst einmal jemand auf die Idee kommen, eine Notrufsäule oder eine Autobahntelefonzelle zu suchen – Handys gab es noch nicht. War eine solche in Reichweite, so ging alles seinen Gang.

Dass man bei der Notrufsäule allerdings zunächst eine Scheibe einschlagen musste, um die Polizei zu informieren, sollte sich allerdings als Problem erweisen. Denn der Deutsche liebt die Ordnung. Etwas kaputt zu machen, ist da nicht eingeplant. Und so mutmaßte die Polizei damals, dass gerade kleinere Unfälle oft nicht gemeldet wurden, weil die Passanten Angst gehabt hätten, die Notrufsäule zu beschädigen.

Den Start machte Radio Luxemburg

War nun aber ein Unfall gemeldet, setzte der Polizeibeamtenapparat ein. Zunächst fuhren Polizisten an den Unfallort, nahmen den Schaden auf, befragten Zeugen. Dann wurden Fototeams beordert. War der Schaden groß genug und fiel es dem zuständigen Beamten rechtzeitig ein, wurde die Polizei-Pressestelle informiert. Die gab den Unfall dann an Presse und Hörfunk weiter, oft in dieser Reihenfolge.

Das hatte zur Folge, dass Staus in den deutschen Radiosendern oft erst dann gemeldet wurden, wenn sie sich längst auflösten oder schon nicht mehr existierten. Nicht umsonst hieß es sprichtwörtlich: „Hörst du im Radio von einem Stau, dann fahr‘ auf jeden Fall diese Strecke! Da hast du garantiert freie Fahrt!‘

Dabei wollten deutsche Radiosender eigentlich ursprünglich gar keine Verkehrsmeldungen senden. Angefangen hatte ein Privatsender damit: Radio Luxemburg. Dort führte man Ende der Sechzigerjahre am Nachmittag eine Autofahrersendung ein, hatte man doch den ADAC als Werbepartner gewonnen. Und weil besonders in Nordrhein-Westfalen schon damals viele Autos unterwegs waren, beschloss man, über Staus zu berichten.

ADAC-Mitarbeiter oder Staureporter

Das geschah auf zwei Wegen: Einer davon war, dass ein Mitarbeiter des ADAC beim Sender anrief und Verkehrsbehinderungen meldete (später erst richteten ADAC und Radio Luxemburg eine gemeinsame Fernschreiberverbindung ein, wobei das Gerät aus Kostengründen in Deutschland stehen musste und Radio Luxemburg so zu einer Außenstelle in Düsseldorf kam).

Eine andere Möglichkeit: Die Informationen kamen vom Staureporter, der dann gleich noch Werbung für den ADAC machen sollte. Hierbei handelte es sich um einen Mitarbeiter des Radiosenders, der mit Auto und Autotelefon ausgestattet war. Er erzählte, wie es auf den Fernstraßen aussah, die er gerade abfuhr. Einzig, der Schuss ging des Öfteren nach hinten los: Um vor den Staus zu warnen, musste der Reporter auch immer wieder einmal zu den Staus hinfahren – und stand plötzlich mittendrin. Was keinen guten Eindruck machte.

Informationen vom Deutschlandfunk

Wer Ende der Sechzigerjahre über das Geschehen auf den deutschen Straßen informiert sein wollte, und das regelmäßig, der musste ausgerechnet auf den Deutschlandfunk umschalten. Dort hatte man schon sehr früh mit Verkehrsmeldungen angefangen, denn der DLF war flächendeckend zu hören – auf der Mittelwelle.

Damals war es nicht schlimm, wenn Radios brummten, knarrten und quietschten. Das Problem waren die UKW-Antennen, die in den Sechzigern noch sehr schlecht entwickelt waren. Der Empfang war oft gestört, im Tunnel war nichts zu hören. Häuser, Laternen, Schilder – alles warf Schatten, die zum Schwanken des Senders führten. Man nannte das damals den „Lattenzauneffekt“.

Der Verkehrsfunk fing an zu piepsen

Mit den in Süddeutschland aufkommenden Servicewellen hielt der Verkehrsfunk in den Regionalsendern Einzug. Und der Verkehrsfunk fing an zu piepsen. Autofahrer-Rundfunk-Information. Das ist ein Ungetüm, das man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Deswegen wohl die Abkürzung: ARI.

Blaupunkt und die ARD hatten das System entwickelt. Dabei wurden auf der für menschliche Ohren nicht hörbaren Frequenz von 57 Kilohertz drei Kennungen ausgestrahlt: Der Name des Senders, sein Sendebereich  – und (optional) die Information, dass eine Verkehrsmeldung beginnt.

Autoradios fanden so immer ihren Verkehrsfunksender. Wollte der Fahrer etwas anderes hören, schaltete das Radio bei Verkehrsmeldungen um und wurde außerdem lauter. Damit musste man doch irgendwie Geld verdienen können. Man konnte.

ARI wird durch RDS ersetzt

Vorher muss es allerdings noch um das Piepsen gehen – oder den Hinztriller. Den hätte man eigentlich gar nicht gebraucht. Das Signal, das dem Autoradio den Anfang einer Verkehrsmeldung ankündigt, war ja unhörbar. Die Radiosender mussten aber ein Signal senden, damit die dafür notwendige Schaltung ausgelöst werden konnte. Der Rundfunktechniker nennt so etwas „triggern“.

Zur Übertragung dieses Signals nutzten die ARD-Sender Modulationsleitungen – und darum hörte man den Piepston. Andere Länder wie die Schweiz lösten das geschickter – da hörte man nichts. ARI ist mittlerweile durch das in Europa standardisierte RDS-System ersetzt worden und wurde 2008 abgeschaltet.

Thomas Gottschalk auf Bayern 3

Doch wozu gibt es eigentlich im Zeitalter des Navis immer noch den Verkehrsfunk? Denn die Information über einen Stau zwischen Adelshausen und Odelshausen ist nun einmal eben nur für denjenigen relevant, der just in diesem Augenblick auf ebendieser Strecke unterwegs ist. Weitaus weniger interessiert hingegen dürften sein: Fußgänger, Busfahrer, Bahnfahrer, Radfahrer, Beifahrer – und Menschen, die gerade ganz woanders fahren. Nicht zu vergessen eine nicht ganz kleine Gruppe, die zuhause oder arbeiten ist. Die einzelne Meldung ist also für die überwiegende Mehrheit der Menschen nicht wichtig. Aber…

1977. Ein gewisser Thomas Gottschalk moderiert auf Bayern 3. Es läuft der Schlager „Wer liebe nimmt, der muss auch Liebe geben“. Gottschalk bekommt eine Verkehrsmeldung. Er drückt seine Knöpfe und eine ganze Nation hört den Satz: „So ein blöder Text. Dann müsste man ja auch sagen können: Wer Eier isst, der muss auch Eier legen.“ Gottschalks Weg durch die Medienlandschaft nimmt seinen Anfang.

Was war hier passiert? In den am Geschmack junger Leute orientierten Servicewellen erkannten immer mehr Moderatoren Folgendes: Wenn ich etwas wirklich Wichtiges zu sagen habe, drücke ich vorher den Verkehrsfunkknopf. Die Radios werden lauter – und ich habe alle Hörer für mich.

Als Erstes nutzten das Musikredakteure aus, die ihnen wichtige Interpreten auf diese Weise besonders betonen wollten – ohne Rücksicht darauf, dass vielleicht gerade eine Kassette oder ein Klassiksender im Autoradio lief. Die Proteste, gerade die der Kulturwellen, verhallten ungehört.

Das Radio als Werbeplattform

Es waren private lokale Hörfunksender, die das Potenzial des Mediums Radio als Werbeplattform erkannten. Seit 1957 Radio Luxemburg angefangen hatte, gab es in Deutschland werbefinanzierten Hörfunk. Lediglich im Saarland hatte man ein ähnliches Rundfunkkonzept.

Die Werbung war allerdings nicht wie heute in zwei Blöcke pro Stunde aufgeteilt. Stattdessen wurden nach bestimmten Musikstücken zwei bis vier Spots gesendet. Einzelne Sender – Radio Bremen, der HR, der SFB und andere – brachten stundenweise Sendungen, die folgendermaßen aufgebaut waren: Musikstück, Spot, kurzes Jingle (meist auf Xylophon gespielt), Spot, Musik, Spot, usw.

Anfang der Achtzigerjahre begannen die Sender zunehmend, von diesem Konzept abzurücken. Fortan sendeten sie Werbeblöcke von fünf bis zehn Minuten Länge. Mit steigendem Angebot der immer gleicher klingenden Sender reizte das aber die Hörer zum Umschalten. So wendeten kluge Werbestrategen eine List an. Sie fragten sich: „Wann zappt der Hörer mit Sicherheit nicht weg? Wohl beim Wetter und beim Verkehr!“ Und so begannen die gesponserten Verkehrsmeldungen.

„Wir verpetzen Blitzer!“

Zu dumm nur, dass Rundfunk Ländersache ist und dass einige Länder eine Trennung von Information und Werbung in ihre Mediengesetze festgeschrieben hatten. Also mussten relativ schnell die Sponsorenhinweise von den eigentlichen Verkehrsmeldungen getrennt werden. Aber wie bekommt man die Hörer dazu, sie trotzdem zu hören? „Wir müssen noch einen Mehrwert schaffen, den wir dann auch noch sponsern. Wir verpetzen Blitzer!“

Mitte der Neunzigerjahre hatten die Sender diesen Einfall. Doch auch hier gab es eine Hürde: Radarkontrollen der Polizei weiterzugeben ist nicht erlaubt. Was also tun?

Es begann in Berlin. Da einigten sich einige Radiosender mit der Polizei auf folgenden Deal: Wir wollen Blitzer melden, ihr nennt uns einfach welche, wir geben sie weiter. Die Polizei richtete also eine Hotline ein, deren Telefonnummer vor allem Journalisten kannten. Die rief man dann vor der Morningshow an – und schon erfuhr man von den neuesten Radarfallen.

Wer schlau war, richtete eine Blitzerhotline für Hörer ein. Rief dann Emma Susemus aus Pankow an und berichtete von einem Blitzer, wurde die Information schnell mit der Polizeiliste abgeglichen. War der Blitzer dort vermerkt, lief er im Radio. Gleichzeitig hatte man damit noch eine Hörerbindung an den Sender geschaffen.

Seit 2002 ist alles anders. Seitdem melden die Radiosender alle Blitzer, von denen sie irgendwie erfahren – ganz legal.

Informationen aus dem Fernschreiber

Es bleibt die Frage, warum es den Verkehrsfunk noch immer gibt. Tatsächlich ist es so, dass man einmal rundherum wunderbar Werbung schalten – und in diesem Umfeld für einen Spot je nach Sendezeit das Zehnfache des Normalpreises verlangen kann. Dies gilt vor allem in der Radioprimetime und in größeren Städten.

Deswegen lohnt sich ein versponserter Verkehrsfunk vor allem bei kleinen Sendern. Schließlich ist Verkehrsfunk in vielen Bundesländern eine Auflage, die es zu erfüllen gilt, möchte man von Autoradios erkannt werden. Für die Sender heißt das: Tag und Nacht aktiv sein. Das gilt auch für die Tageszeiten, in denen die Radiosendungen aus dem Computer kommen: Es muss immer noch jemand dasitzen, der ein wenig stammeln kann. Im Notfall muss er Verkehrsmeldungen verlesen. Heute kommen sie wenigstens online im Studio an.

Das war nicht immer so. So sendete zum Beispiel in den Anfangsjahren auch Deutschlandradio Kultur noch Verkehrsmeldungen – bis 1995. Diese Meldungen kamen über den Fernschreiber an, der in einem speziell eingerichteten Raum stand. Der Moderator saß in einem Studio am anderen Funkhausende. Das Deutschlandradio leistete sich damals im Dreischichtbetrieb Mitarbeiter, die nichts weiter zu tun hatten als in den Fernschreibraum zu gehen, den Zettel vom Fernschreiber abzureißen und ihn dem Moderator zu bringen. Einmal die Stunde hin und zurück.

Weitere Verkehrsstörungen liegen nicht vor.

Marko Schlichting, Jahrgang 1965, ist Hörfunkredakteur bei der Agentur der Bayerischen Lokalradios. Er betreibt „Markos Medienpodcast“, der sich mit aktuellen Entwicklungen der Branche beschäftigt.


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